Meine Freundin Jutta W. hat mich dankenswerterweise auf die Buchpräsentation von Markus Pühringers neu erschienenem Buch „Herrschaftsfrei leben“ aufmerksam gemacht. Untertitel: „Wie wir Menschen durch Herrschaft, Kapitalismus und Patriarchat aus paradiesischen Zuständen vertrieben wurden … und wie wir wieder dahin zurückkehren können.“ Wer dieses Buch kaufen will, bitte direkt beim Planetverlag der Grünen Bildungswerkstatt bestellen: planetverlag@gbw.at
Bezugnehmend auf den Neurobiologen Gerald Hüther hat Markus Pühringer dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und geistiger Entfaltung das Bedürfnis nach einer materiellen Grundversorgung hinzugefügt. Nur letzteres wird in Betracht gezogen, wenn in unseren Breiten von „Wohlstand“ die Rede ist. Wir leben zwar im materiellen Überfluss, gar in der Verschwendung, doch bleiben unsere Bedürfnisse nach Zugehörigkeit/ Verbundenheit und Potentialentfaltung weitgehend unbefriedigt. Umgekehrt ist der Wunsch nach Zugehörigkeit so groß, dass viele meinen, uns an die Vorgaben der westlichen Industriegesellschaft halten zu müssen, beruflich erfolgreich zu werden, durch viel zu viel Arbeit Prestige und Reichtum zu erlangen und im materiellen Luxus zu leben, sei einzig und allein erstrebenswert. Ohne dass wir dabei beachten, wie sehr unsere Seele und die beiden anderen Grundbedürfnisse dadurch in Bedrängnis kommen. Damit, so arbeitet Markus Pühringer heraus, leben wir ständig an einer Schmerzgrenze wie sich die Menschen in den Ländern des Südens mit ihrem Bedürfnis nach materieller Grundversorgung andauernd an einer Schmerzgrenze befinden.
Durch das Bedürfnis nach Verbundenheit leiden wir im Besonderen unter Ausgrenzung und Mobbing, das uns überwiegend dann passiert, wenn wir entgegen dem gesellschaftlichen Mainstream unser geistiges Potential entfalten und unseren eigenen Wesenskern leben wollen. Wie meine Freundin Jutta H. herausgefunden hat, ist alleine das Geschick, das Eigene zu leben und sich nicht an gesellschaftliche Konventionen zu halten, für viele eine Provokation. Die Biobäuerin Anni Felbauer erzählte in einem Interview, es war am Anfang durch die Umstellung auf biologische Wirtschaftsweise für viele konventionelle Bauern und Bäuerinnen alleine die Tatsache anders zu wirtschaften ein Affront und Grund für Ausgrenzung und Benachteiligung der Biopioniere.
Dies ist eine meiner zentralen Fragen, die mich derzeit beschäftigt. Wie lerne ich es auszuhalten, wenn andere nicht nur meine Weltanschauung und meinen Lebensstil ablehnen, sondern ich für sie auch unter dem Stigma der Außenseiterin, der „Nicht-Normalen“ zu leben habe.
Der Neurobiologe Joachim Bauer (2008: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren) konnte nachweisen, dass Menschen sich wohlfühlen und motiviert sind, etwas für andere zu tun, wenn in ihrem Hormonhaushalt die Botenstoffe Dopamin, Oxytozin und Opioide ausgeschüttet werden. Dopamin erzeugt ein Gefühl des Wohlbefindens und versetzt den Organismus psychisch und physisch in einen Zustand von Konzentration und Handlungsbereitschaft. Oxytozin ist ein Bindungshormon. Wird es ausgeschüttet, erhöht sich die Bereitschaft, Menschen Vertrauen zu schenken, es stabilisiert menschliche Beziehungen. Körpereigene Opioide haben anders als Opium und Heroin weder eine betäubende noch eine einschläfernde Wirkung, sondern wohltuende Effekte auf das Ich-Gefühl und die Lebensfreude. „Wir sind aus neurobiologischer Sicht auf soziale Resonanz und Kooperation angelegte Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Zuwendung und Zuneigung zu finden und zu geben“ (Bauer 2008: 23 zit. nach Pühringer, Markus 2011: Ist Gleichheit Glück? Oder: Was macht uns wirklich glücklich? S. 6)
Wird dem Menschen fortwährend soziale Akzeptanz und Gerechtigkeit verweigert, wird der Wohlfühl-Cocktail nicht ausgeschüttet, die Glückshormone sinken unter einen kritischen Wert und das Aggressionszentrum wird aktiviert. Bei Ausgrenzung werden die gleichen Hirnregionen aktiviert wie wenn ein Mensch physischen Schmerz erleidet. Evolutionär hat der Aggressionscocktail die Funktion, den Menschen anzustacheln, sich aus der für ihn bedrohlichen Situation zu befreien. „Aggression steht – ob direkt oder indirekt – immer in funktionalem Zusammenhang mit dem Grundbedürfnis des Menschen nach Beziehung und ist diesem Bedürfnis unter- und nachgeordnet.“ (Bauer 2008: 89 zit. nach Pühringer 2011: 7)
Wer seinen eigenen Weg gehen und die eigenen Potentiale entfalten will, braucht daher Gleichgesinnte und Verbündete. Das habe ich bereits als junge Wissenschaftlerin durch Seminare und Begegnungen mit den Menschen der Österreichischen Bergbauern- und Bergbäuerinnenvereinigung (ÖBV), heute Via Campesina Austria, erfahren. Einzelkämpfertum geht sich energetisch nicht aus, denn ohne Wohlfühlcocktail verlieren wir unsere Motivation und Antriebskraft.
Vor allem beschäftigt mich in letzter Zeit die Frage, wie wir ein starkes Ich-Bewusstsein entwickeln und dadurch unsere Ich-Bezogenheit überwinden können, vor allem den Narzissmus, ein weit verbreitetes, sozial sehr hinderliches Phänomen unserer Zeit. Meine Ansicht ist, durch ein starkes Ich-Bewusstsein und Enttabuisierung von Aggressionen werden Zusammenleben und Kooperation wieder möglich werden.
Mit dieser Hoffnung alles Gute Elisabeth