Der katholische US-amerikanische Priester Thomas Berry über die Unterwerfung des amerikanischen Kontinents. Die Art und Weise, sich die Erde untertan zu machen gilt ebenso für Europa.
Als wir vor 400 Jahren erstmals auf dem amerikanischen Kontinent angekommen sind, sahen wir ein Land, in dem wir vor den Monarchien Europas und ihrer Welt der Unterwürfigkeit entfliehen konnten. Vor uns lag ein Land der Fülle, ein Land, in dem wir Grundeigentum besitzen oder so nutzen konnten, wie wir wollten. Als wir uns davon befreiten, beherrscht zu werden, wurden wir zu Herrschern über alles andere. Wir sahen in den Zirbelkiefern mit bis zu zwei Meter Durchmesser Wälder, die zu Bauholz verarbeitet werden können. Wir sahen Wiesen, die zu Weideland kultiviert werden konnte und Flüsse mit zahllosen Fischen darin. Wir sahen einen Kontinent, der darauf wartete, vom auserwählten Volk der Welt ausgebeutet zu werden.
Als wir als Siedler ankamen, betrachteten wir uns selbst als das religiöseste aller Völker, als das freieste in unseren politischen Traditionen, das gelehrteste an unseren Universitäten, das kompetenteste in unseren Technologien und als am besten dafür gerüstet, jeden ökonomischen Vorteil auszunutzen. Wir sahen uns selbst als einen göttlichen Segen für dieses Land. In Wirklichkeit waren wir ein räuberisches Volk auf einem unschuldigen Kontinent. […]
Die indigenen Völker dieses Kontinents versuchten, uns den Wert des Landes zu lehren, aber unglücklicherweise waren wir von unserer Weltanschauung geblendet, dass wir sie nicht verstehen konnten. Stattdessen waren wir empört, weil sie darauf bestanden, ein einfaches Leben zu führen, anstatt fleißig zu arbeiten. Wir wollten sie unsere Lebensweise lehren und zogen niemals in Betracht, dass sie uns stattdessen die ihre vermitteln könnten. Obwohl wir beim Aufbau unserer Siedlungen stets von den hier lebenden Völkern abhängig waren, betrachteten wir uns nie als Eindringlinge in ein heiliges Land. Wir haben das Land nie so wahrgenommen wie sie es tun: als eine lebendige Präsenz, die nicht in erster Linie genutzt, sondern geehrt wird und mit der man Zwiesprache hält. Wir glauben noch immer nicht, dass wir jedes lebendige Geschöpf ehren sollten. Wir erkennen nicht, wie wichtig es ist, uns vor der Majestät der Berge und der Flüsse, der Wälder, des Graslands, der Küsten und der Wüsten zu verneigen.
Zitat aus: „Spirituelle Ökologie. Der Ruf der Erde“ herausgegeben von Llewellyn Vaughan-Lee 2015. Verlag Neue Erde Saarbrücken, Seite 23f